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Netzneutralität
Der aktuelle Stand im Kampf um's Web

(Image)Am 12. März hat die FCC nun das vorgestellt, worauf viele freudig und andere erzürnt gewartet haben: Die neuen Regelungen für Internetprovider in den USA, die faktisch die Netzneutralität festschreiben. Was das ist, was es soll und wie es in Deutschland darum steht, hier im Blog.

Was ist Netzneutralität?
“Netzneutralität bezeichnet die Gleichbehandlung von Daten bei der Übertragung im Internet.” (Wikipedia). Das bedeutet, dass ein Internetprovider nicht die Daten eines Content-Anbieters bevorzugen bzw. andere benachteiligen darf. Konkret darf also die Telekom nicht Entertain mit 12 MB/s zur Verfügung stellen, während Netflix (oder YouTube) nur mit einem Megabyte pro Sekunde verfügbar ist.
Theoretisch dürfen also keine Unterschiede zwischen Plattform, Sender oder Empfänger gemacht werden.

In der Praxis ist das allerdings zu einem gewissen Maße sinnvoll. Denn unterschiedliche Dienste haben unterschiedliche Anforderungen. So haben Telefonate (VoIP) zwar einen geringen Bedarf an Bandbreite, aber die Paketlaufzeit (also die Zeit, bis das Datenpaket beim jeweils anderen ankommt) sollte möglichst gering sein, damit ein Gespräch zu Stande kommen kann. Es geht also um die Qualitätssicherung, welche mit Hilfe von Priorisierung durchgeführt wird. In der gängigen Definition von Netzneutralität ist das auch explizit erlaubt - aber eben nur für die Sicherung der Qualität, und nicht etwa um Content-Anbieter dazu zu zwingen, sich an den eigenen Netzausbaukosten zu beteiligen.

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Warum ist das so wichtig?
Diese Frage hat etwas mit dem grundlegenden Problem des Telekommunikationsmarktes zu tun: Es existiert kein echter Wettbewerb. Gerade in den USA, die gerade bei netzpolitischen Themen die Marschrichtung angeben, hat man meist nur die Wahl zwischen einem Anbieter und keinem. Auch in Deutschland gibt es nicht sehr viel mehr Wahlmöglichkeiten für eine große Anzahl von Kunden, denn meist sind nur ein oder zwei Provider verfügbar. Im Mobilfunkmarkt ist die Anzahl verschiedener Provider auch recht gering. Das heißt, die normalen Gleichgewichtskräfte des Marktes greifen nicht.

Konkret bedeutet das: Wenn mir nicht passt, dass zum Beispiel die Telekom (no offense @ magenta) YouTube drosselt, um Geld von Google für den “Netzausbau” zu erhalten, wechsle ich halt zu einem anderen Anbieter, der das nicht tut. Das heißt, durch die Präferenzen der Kunden würden gewisse Provider einen Wettbewerbsvorteil erlangen, mehr Kunden und mehr Gewinn aufweisen können und so früher oder später die “bösen” Anbieter aus dem Markt drängen oder zum Einlenken bewegen. Theoretisch.

Denn praktisch ist es zum einen gar nicht Mal so angenehm, den Provider zu wechseln, zum anderen meist nicht oder nur unter Inkaufnahme deutlich schlechterer Verbindungen möglich. Das heißt dann wiederum, der Anbieter kann mehr oder weniger machen was er will, denn der Kunde hat wenige Chancen, sich einen anderen Anbieter zu suchen.

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Des Weiteren sind die Markteintrittsschranken im Bereich der Telekommunikation recht hoch. Das heißt, für einen neuen Anbieter am Markt bestehen enorm hohe Hürden, die er überkommen müsste. Das sind zum Beispiel das verlegen neuer Leitungen oder der Aufkauf von Mobilfunkspektren.

Im Übrigen sieht die EU (und damit die Mitgliedsstaaten) das Problem nicht so ernst. Sie vertraut auf folgende Regelung: Der Provider muss die Qualität des Dienstes dem Kunden darlegen. Wenn sich diese ändert, kann der Kunde wechseln. Das setzt natürlich voraus, dass der Kunde einen anderen Anbieter hat, zu dem er wechseln kann (siehe oben). Dass diese Regelung Quatsch ist, sieht man aber auch daran, dass kaum ein Anbieter auch die versprochenen Leistungen erbringt - schließlich ist es ein “bis zu…” Denn nur ca. 75% der Nutzer erreichen die Hälfte der versprochenen Bandbreite (Initative Bandbreite, Seite 67) und weniger als 10 Prozent erhalten tatsächlich die Geschwindigkeit, mit der großflächig geworben wird. Davon unabhängig sind die Geschwindigkeiten in Deutschland sowieso deutlich niedriger als in vielen anderen Ländern (Statista).

Warum sind die Provider denn so böse?
Die Provider sehen sich damit konfrontiert, dass die Bandbreiten, die sie zur Verfügung stellen, extrem steigen. Content wird eben nicht mehr in 480p konsumiert, sondern in Full HD oder mehr. Gleichzeitig sind immer mehr Geräte immer länger online - eine extreme Belastung für die Infrastruktur. Dabei machen eigentlich unwichtige Nutzungen wie Streaming oder File Sharing einen signifikanten Anteil der Gesamtnutzung aus. Die Telkos argumentieren, dass es nur wirtschaftlich sinnvoll ist, diese unwichtigen, aber das Netz stark beanspruchenden Dienste zu benachteiligen, und wichtigere Dienste wie VoIP zu bevorzugen. So kann die Qualität der wichtigen Services auch bei stetig steigendem Datenvolumen gesichert werden. Das ist im Grunde auch eine absolut sinnvolle Maßnahme, wenn Provider halt nicht so wären wie sie sind: das absolute Gegenteil einer freundlichen Firma.

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Denn zufälligerweise werden dann auch eigene Dienste gefördert sowie andere, die ein Entgelt dafür zahlen, dass sie das Netz belasten. Es entsteht also ein so genanntes “Zwei-Klassen-Internet”. Es gibt die “Fast-Lanes”, auf der die eigenen Dienste des Providers sowie die zahlenden Services ohne Verzögerung und in guter Qualität erreichbar sind, und den Rest, der die restliche Bandbreite nutzen muss - die ab und zu auch künstlich beschränkt wird.
Nebenbei gibt es noch andere Formen der Benachteiligung verschiedener Dienste. So kann man die Nutzung von Spotify zum Beispiel aus dem verfügbaren Datenvolumen ausnehmen oder ausschließlich File-Sharing drosseln.

Aber hilft das nicht dem Kunden?
Durchaus, ja. Kurzfristig gesehen haben die Kunden davon einen Vorteil. Wenn ich also Spotify nutze, kann ich ohne Sorgen um mein Datenvolumen Musik streamen. Ich kann mir mit Entertain die Bundesliga unterwegs ansehen. Ich spare also Geld. Und theoretisch könnten die Netze auch besser werden, wenn Anbieter mehr zahlen.

Aber eben nur kurzfristig. Denn wenn ich Spotify nutzen kann, ohne dass es mein Datenvolumen verringert, nutze ich kein Google Play Music oder andere Dienste. Auch werde ich nie den kleinen Nischendienst ausprobieren. Ich schränke mich also von vornhinein in der Wahl meiner Services ein. Und so Millionen anderer Kunden. Langfristig wird es für viele - gerade kleine - Dienste unmöglich sein, mit den Netzgebühren, die Google, Apple, Facebook etc. zahlen können, mitzuhalten. Sie werden sterben - und mit ihnen das, was das Internet eigentlich auszeichnet.

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Denn anders als bei Telekommunikationsanbietern sind die Markteintrittsbarrieren relativ gering. Es reicht eine gute Idee, ein wenig Webgedöns und Glück und schon kann aus einer Hot-or-Not-Webseite einer der größten Börsengänge der Geschichte werden. Muss nun eine Webseite gegen die bestehenden, großen Konzerne finanziell ankommen, kann sich jeder denken, dass nicht eine gute Idee oder Glück ausschlaggebend sein werden, sondern finanzielle Ressourcen. Vorbei wären also die Zeiten, in denen ein guter Dienst einfach erfolgreich werden kann. Und das würde dann natürlich auch die Nutzer treffen, die sich anfangs freuten, weniger zahlen zu müssen. Denn die bestehenden Dienste hätten natürlich auch weniger Konkurrenz zu befürchten und somit nicht den unbedingten Drang, Innovationen zu schaffen. Es würden also nicht nur neue Ideen untergehen, auch die bestehenden Produkte würden sich weniger schnell verbessern. Und das bedeutet am Ende einen großen Verlust an Diversifikation im Internet.

Nur ist das vielleicht gar nicht einmal das Schlimmste. Vor ein paar Monaten hatte Verizon eine eigene News-Seite gestartet, genannt Sugarstring. Diese Seite sollte in Konkurrenz zu Arstechnica oder Techcrunch usw. gehen - mit dem Unterschied, dass hier nicht negativ über Verizon berichtet wird. Werden nun andere Seiten im Netz einfach geblockt, ist es für eine große Zahl Nutzer schwierig, dem Newsportal auszuweichen. Und so kann Verizon verhindern, dass schlechte Nachrichten über den Konzern oder seine Dienste einer großen Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Kurz gesagt: Zensur sind hier Tür und Tor geöffnet.

Mensch, das ja schon ganz schön schlimm. Was wird dagegen getan?
Relativ lange wurde nichts getan. Denn der Markt (siehe oben) wird das schon regeln, so die damaligen Aussagen. Wie man inzwischen gemerkt hat, hat der Markt tatsächlich nichts geregelt, sondern den Diensten das Leben schwer gemacht und im Endeffekt durch mehr oder weniger subtile Maßnahmen versucht, Sonderzahlungen von Content-Providern zu erhalten. Auch die zuständigen Behörden (in den USA die FCC, in Deutschland die Bundesnetzagentur bzw. die Bundesregierung) sahen bisher auch nicht die Notwendigkeit, die Netzneutralität im einzigen Medium festzuhalten, das ihnen zur Verfügung steht: Gesetze oder Verordnungen. Bis einer der US-Provider den Bogen überspannte.

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Verizon klagt gegen die FCC und ihre schwachen, aber immerhin existenten Netzneutralitätsregeln und gewinnt. Als Reaktion holt die FCC zum Tiefschlag aus und verabschiedet tatsächlich Regeln, die Netzneutralität in terrestrischen und mobilen Netzwerken festschreibt - dazu gleich mehr. In der EU bzw. in Deutschland ist man der Meinung, dass der Paragraph 41 des Telekommunikationsgesetztes von 1996 noch mehr oder weniger ausreicht. Inzwischen steht zwar auch im Koalitionsvertrag von 2013 etwas zur Netzneutralität, aber allzu viel dürfte man sich von einer Regierung, die nach den Anschlägen von Paris wieder die Vorratsdatenspeicherung fordert (erwiesenermaßen hat die dort null gebracht) und schon bei der “WLAN-Stör-Haftung” scheitert, nicht erwarten.

Also, was hat nun die FCC in den USA getan?
Viel. Sehr viel. Wer ein wenig in US-sprachigen Medien unterwegs ist (solltet ihr!) wird gemerkt haben: Es ging in den USA nicht nur um die Neutralität des Netzes. Es ging um die Freiheit des Internets, um Meinungsfreiheit und so viel mehr, das die Webindustrie zunehmend durch Konzerne wie Comcast und Time Warner Cable in Gefahr sah. Die Webseite der FCC, auf der man seine Meinung zum Thema Netzneutralität kundtun konnte, brach ab und an ein unter der Last der Nutzer. Seiten mit Millionen von Nutzern hatten ein zentrales Thema: Den Kampf für die Freiheit des Internets. Schließlich schaltete sich sogar Präsident Barak Obama in die Diskussion ein und befürwortete das freie und offene Internet.

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Und so kam es, dass die FCC unter Vorsitz von Tom Wheeler nun (12.03.) die so genannte Open Internet Order veröffentlich hat. Einige Eckpunkte waren bereits vorher bekannt, die genaue Ausarbeitung liegt aber jetzt erst vor. Und, wie man wahrscheinlich auch gemerkt hat, feiert das “Internet” diese neuen Regelungen, während die Telkos inklusive der Republikaner entweder Klagen oder Gemecker angekündigt haben.

Kernelement der neuen Regelungen ist, dass Internetprovider als sogenannte Title II common carrier bezeichnet werden, wogegen sie sich ab und an gewehrt haben (wie jetzt), sich selbst aber gerne als solcher bezeichnen, wenn es Vorteile hat. Ein common carrier transportiert Güter, in diesem Fall Bytes, und kann nicht für die Inhalte, die er transportiert, haftbar gemacht werden. Auf der anderen Seite schränken die neuen Regelungen eben auch den Eingriff der common carrier in den Transport ein. So darf man nicht blockieren, nicht drosseln und nicht gegen Entgelt priorisieren.

Das hört sich erstmal sehr streng an, bei genauerer Betrachtung ist bei den Regelungen noch deutlich Raum nach oben. Viele Regelungen, die theoretisch mit einer Title II Klassifizierung einhergehen, wurden ausgenommen. Auch das Thema interconnect, das Netflix mit den Providern ausgefochten hatte, wird nicht wirklich gelöst. Außerdem darf der Provider sein Netzwerk managen, das heißt einige “Optimierungen” vornehmen. Diese müssen aber ausschließlich technisch begründet sein, dürfen also keinen Geschäftsvorteil bringen - wobei das natürlich Auslegungsache ist.

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Dennoch. Die Republikaner sind nicht erfreut, die Telkos wollen alle klagen und weniger investieren (aber haben schon gesagt, dass sie trotzdem weiter investieren…). Denn noch vor einem Jahr war der Vorschlag von Tom Wheeler sehr viel schwächer als die jetzt verabschiedete Regelung. Doch dann passierte das Internet, das jetzt jubelt und mit diesen neuen Regelungen, die das Web vor den Internetprovidern erstmals ausreichend schützen kann, zufrieden ist.

Was bei diesem Thema häufig übersehen wird, ist die Tatsache, dass nicht nur das Kabel-Internet von Comcast oder TWC nun netzneutral ist, sondern auch das Mobilfunknetz. Hier existiert aktuell schon eine Vielzahl krasser Verletzungen dieses Prinzips. Provider blockieren Skype, VPNs, oder generell VoIP und bevorzugen bestimmte Dienste. All das wird mit den neuen Regelungen nun vorbei sein. Und das ist besonders wichtig, da eine Vielzahl von Menschen das Smartphone als primäres Gerät für die Internetnutzung verwendet. All diese Menschen können sich nun darauf verlassen, dass niemand ihren Zugang zum Netz mutwillig behindert oder verlangsamt.

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In den USA ist also ein kleines Wunder bezüglich der Zukunft des Netzes passiert. Und bei uns? Günther H. Oettinger, der tatsächlich EU-Kommissar für Netzpolitik ist, verglich erst vor kurzem den Drang nach Netzneutralität mit einer Taliban-artigen Entwicklung. Vielmehr hat man auf EU-Ebene eben erst das Konzept verabschiedet, Netzneutralität so umzusetzen, als dass man alles erlaubt, was eben nicht zur Netzneutralität gehört. So wird das „Zwei-Klassen-Internet“ faktisch ermöglicht, genauso wie bestimmte Content-Sperren – und man verstößt dazu noch gegen die selbst erstellte EU Charter of Fundamental Rights. Und gegen die aktuellen Verstöße gegen die Gleichbehandlung des Internetverkehrs wird auch nichts getan.

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Fazit
In den USA wird ja fast schon vorbildlich die Netzneutralität umgesetzt, entgegen der unbeschreiblich großen Macht der Republikaner und Telkos. Und hier in Europa, die ja immer so belächelnd auf die Marktwirtschaft der USA schielen, versagen bei dem Thema kläglich. Das hat eine Vielzahl von Gründen, angefangen bei der personellen Besetzung der Posten über das allgemeine Bewusstsein von Großteilen der Bevölkerung bis hin zu Lobbyismus. Und so ist zu erwarten, dass Europa – und auch Deutschland – auch weiterhin digital weit abgeschlagen bleiben. Und zwar technisch, politisch und auch gesellschaftlich.

Wie ist eure Meinung zum aktuellen Stand? Teilt es uns mit und diskutiert in den Kommentaren!

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Mehr zum Thema:

Warum ich das Internet so super finde
Andere Gefahren für das Internet


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Chrissik
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Chrissik
19. März 2015, 17:49 Uhr
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